Olaf Scholz in China: Wenn schon ein 45-minütiges Gespräch ein Erfolg ist (2024)

So wichtig die Abkommen für manche deutsche Unternehmenund die Gesprächsdrähte zwischen beiden Seiten sein mag: Eine neue Dimensionder Beziehungen (und davon spricht Li in seinen Statements) ist das sichernicht. Die großen Probleme bleiben: Die chinesische Überproduktion verteidigtder Ministerpräsident beinahe aggressiv als Ergebnis chinesischer Stärke; dieSubventionen entsprächen den Regeln der Welthandelsorganisation und alleanderen würden ja auch subventionieren; man müsse das "objektiv und dialektischsehen" – was auch immer das heißen mag. Statt Konzessionen zu machen, zitiertder Ministerpräsident den deutschen Philosophen Leibniz: "Tauschen wir unsereGaben aus und entzünden wir Lichter."

Vor allem aber bewegt China sich in den großengeopolitischen Fragen nicht. Die Deutschen hatten darauf gehofft, China könnezumindest kleine Schritte machen, sich diplomatisch stärker an der Lösung desKrieges gegen die Ukraine zu engagieren. Doch Xi wiederholte im Gespräch mit Scholzlediglich seine Warnung, es dürfe nicht zum Einsatz von Atomwaffen kommen. Auchwenn er dieses Mal explizit Angriffe auf Atomanlagen miteinbezieht, also aufdas von Russland besetzte Atomkraftwerk Saporischschja. Den Einsatz von Atomwaffenabzulehnen, gehört seit Langem zur Außenpolitik Chinas. Auch bei Scholz‘ Besuchim Oktober 2022 hatte Xi das gesagt, jetzt wiederholte er es.

"Alle Länder müssen einen Platz am Tisch haben, keines darf auf der Speisekarte stehen"

Im Vorfeld der Reise hatte man in Deutschland gehofft, diechinesische Regierung würde womöglich zusagen, an einerKonferenz in der Schweiz teilzunehmen, auf der über den Friedensplan desukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj verhandelt werden soll – Selenskyjselbst hat zugesagt zu kommen. Es wäre die Fortsetzung eines ersten Treffensder Sicherheitsberater verschiedener internationaler Regierungen imsaudi-arabischen Dschidda im Sommer 2023. Zu dieser Konferenz hatte China einenVertreter entsandt. Die Deutschen hatten gehofft, mit chinesischer Beteiligungkönnte die Schweizer Konferenz der Nukleus von weiterführenden Gesprächenwerden, irgendein Anfang, um den Krieg zu beenden.

Doch Xi blieb vage, wolltesich offenbar nicht verpflichten. Der Präsident unterstütze "die Einberufungeiner internationalen Friedenskonferenz", sagte ein Sprecher des chinesischenAußenministeriums nach der Konferenz, "zu gegebener Zeit." An dieserirgendwann, irgendwie stattfindenden Konferenz müssten sich alle Parteien"gleichberechtigt beteiligen", sie müsse von "Russland und der Ukraineakzeptiert werden". In den Gesprächen soll Xi dies nach Informationen ausDelegationskreisen so formuliert haben: "Alle Länder müssen einen Platz amTisch haben, keines darf auf der Speisekarte stehen." Das kann sich auf dieUkraine beziehen – aber auch auf Russland. Später am Abend versucht sich derBundeskanzler dennoch an einer positiven Auslegung: Mit der grundsätzlichenErklärung von Chinas Bereitschaft sei hier "ein Zeichen gesetzt worden". Daskönne ein "Baustein" sein, "wie man weiter diplomatisch vorgeht".

Olaf Scholz hat bei den Gesprächen außerdem ChinasUnterstützung für Russland angesprochen. China ist nicht nur einer derwichtigsten Handelspartner Russlands und kauft das russische Gas, das Russlandin Europa nicht mehr loswird. Es liefert auch zahlreiche Güter, welche Russlanddie Kriegsführung ermöglichen, Mikrochips etwa, aber auch Baumaschinen. AlsScholz diese Lieferungen anspricht, soll Xi abwehrend reagiert haben, war ausDelegationskreis zu hören. Auch hier: keine Annäherung, keine Konzessionen.

Der Premier schließt sich der Verurteilung des Iran nicht an

Ähnlich unbestimmt blieb die diplomatische Sprache zumNahostkonflikt, auf die sich beide Seiten einigen konnten. Die Deutschenhatten gehofft, dass China als wichtiger Handelspartner und Investor mäßigendauf den Iran wirken könne. Ein öffentliches Signal aber bleibt aus. Bei dergemeinsamen Pressekonferenz verurteilt Scholz den Angriff des Iran auf Israel.Doch Li Qiang schließt sich dem nicht an. Das chinesische Außenministeriumhatte die Attacke in den vergangenen Tagen lediglich als "Folge des Gaza-Konflikts"bezeichnet und alle Seiten zur Mäßigung aufgerufen, auch die "großen Mächte" –die chinesische Chiffre für die USA. Li Qiang erwähnt den Nahen Osten schlichtgar nicht.

Mit Xi allerdings hat Scholz über diese Krise gesprochen. Xibefürworte einen sofortigen Waffenstillstand, heißt es aus deutschenDelegationskreisen. Einigen konnte man sich, das sagte auch Olaf Scholz,darauf, mehr humanitäre Hilfe für die Menschen in Gaza zu fordern und darauf,dass aus Sicht beider Länder zwei Staaten die einzige dauerhafte Lösung desKonflikts brächten.

Es bleibt also das Atmosphärische, die diplomatischeMetaebene. Aus Delegationskreisen war nach dem Treffen zu hören, Xi sei"aufgeräumt" gewesen. Scholz hat sich mit dem chinesischen Präsidenten zuerstgemeinsam mit seiner Delegation getroffen. Es folgten ein Vier-Augen-Gesprächund ein Mittagessen. Für das Vier-Augen-Gespräch waren eigentlich nur zehnMinuten vorgesehen, so hieß es im Vorhinein, tatsächlich saßen beide eine Dreiviertelstundezusammen. Die Deutschen werten das als gutes Zeichen. Es sei wichtig, mit Xi zusprechen, sagen Diplomaten. Seit der Corona-Zeit haben die Beziehungen Chinaszum Westen auf allen Ebenen abgenommen. Auch Xi ist letztlich ein einsamerHerrscher, dem kaum jemand widerspricht. Die Wahrscheinlichkeit vonMissverständnissen und Fehlkalkulationen ist groß – auch deshalb sind dieDeutschen froh um die viele Zeit.

Und dennoch: China ist derzeit ebenso abhängig vonDeutschland wie andersherum. Zwar hat es Russland zu seinem Juniorpartnergemacht und mehr Einfluss in Nahost als bei Scholz letztem Besuch. Doch es hatsich auch zunehmend isoliert. Amerika zieht das Netz der technologischenIsolation immer enger, hat seine Allianzen im Indopazifik stärken können. Inder Europäischen Union ist Deutschland Chinas engster Freund, China ist auf Deutschlandspolitischen Beistand angewiesen. Hat Deutschland das ausreichend genutzt? Eshätte, so der Eindruck, mehr erreichen können. Das chinesische Außenministeriumnotiert jedenfalls – und man kommt nicht umhin, eine gewisse Genugtuungzwischen den Zeilen zu lesen –, Scholz habe im Gespräch mit Xi gesagt: "Alsein wichtiges Mitglied der Europäischen Union sei Deutschland bereit, sichaktiv für eine gute Entwicklung der Beziehungen zwischen der EU und Chinaeinzusetzen."

Korrrekturhinweis: In einer früheren Version des Textes hieß es fälschlicherweise, dass Chongqing im Osten Chinas liegt. Der Fehler ist korrigiert.

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